Wishmaster

Kapitel 1: Erinnerungen

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„Ich, Megumi Hiro, die 7. Seherin...“ ihre Stimme versagte ihr den Dienst und sie senkte den Blick ihrer bernsteinfarbenen Augen. Mit einigem Schrecken bemerkte sie, daß ihr das Blut in die Wangen schoß und ihre Haut zum glühen brachte. Ihre Knie zitterten vor Angst und in ihrem Schädel pochte ein beißender Schmerz... Die Gedanken der Alten drangen in sie... Sie kannte das und haßte es, ihr Sein vor diesen greisen Geistern ausbreiten zu müssen. Fremde Stimmen und Gedanken erfüllten sie, machten sie zu einem Gefäß...

Ihre Knie zitterten und die Welt begann unter ihr zu wanken.

„Ich bin Setsuna Hiro, der 7. Hüter der Vergangenheit, die 109. Generation des Hiro- Clans.“

Setsunas Stimme klang so ruhig und selbstsicher, daß Megumis Angst nachließ. Sie wußte, daß Setsuna nie Angst hatte, nie zeigen würde. Einer mußte ja da sein, um sie zu beschützen.

Sie schloß die Augen und ließ sich fallen, ihren Geist frei treiben... Tatsächlich hörte dieser pochende Schmerz in ihren Schläfen auf. Dennoch war es unangenehm 2000 Jahre alte Geister in ihre Seele blicken zu lassen. Plötzlich fühlte sie Setsunas Hand auf ihrer Schulter, die ungewöhnlich schwer und fest zudrückte... Als sie die Lider öffnete und sich umsah, war Setsunas Gesicht von Scherzen verzerrt. Zitternd stand Megumis Zwilling hinter ihr. Schweiß perlte auf der hohen Stirn und in den hell blauen Augen lag so viel Schmerz und Lied und Qual. Dennoch kam kein Laut über Setsunas Lippen. Aber das Hüftlange, dichte, schwarze Haar hatte jede Farbe verloren. Die Geister bestraften Setsuna. Megumi versiegelte ihren Geist und umarmte ihren Zwilling fest, hielt Setsuna.

„Verschließe deinen Geist!“ flüsterte sie.

„Ich... kann nicht.“ Setsunas Stimme klang leise, gepreßt. Megumi schloß die Augen und legte den Kopf in den Nacken. „Hört auf!“ ihre Stimme hallte von den Wänden des Schreins wieder und brach sich in der Kuppel, hoch über ihren Köpfen.

„Hört auf!!!!“

 

Megumi fuhr aus ihren Kissen hoch, weinend... Dunkelheit umgab sie, erdrückende Stille, und diese unangenehm feuchte Wärme... Einzig Setsunas unruhiges, leises Atmen konnte sie hören. Und, in einiger Entfernung das vereinzelte, leise Rauschen, wenn ein Auto über die Autobahn rollte.

Sie drehte sich halb in dem engen Bett um und sah zu dem Radiowecker, der auf ihrem Schreibtisch stand. Die roten Leuchtziffern sagten ihr, daß es definitiv zu früh zum aufwachen war und dieser Alptraum an sich bereits an vorsätzliche Körperverletzung grenzte.

Viertel nach drei in der Nacht!

Sie schob behutsam die Decke von sich und sah an sich herab. Ihr Nachthemd klebte an ihrem Körper. Sehr lang schon hatte sie keinen Alptraum mehr gehabt, der ihr solch einen Schrecken eingejagt hatte, so daß sie Schweiß naß erwachte.

Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit. Neben ihr lag Setsuna, zusammen gekrümmt wie ein Fötus, die Decke halb über sich gezogen.

Langsam erinnerte sie sich wieder. Sie hatte schon am Abend große Angst gehabt, ohne einen besonderen Grund dafür erkennen zu können, also war sie von Anfang an zu Setsuna ins Bett gekrochen. In Setsunas Nähe nur war Megumi wirklich glücklich und sicher. Wahrscheinlich der Grund, aus dem sie in diesem Kinderheim ein Zimmer teilten und beide nicht vermittelt werden konnten. Aber sie liebte Setsuna, mehr als alles auf der Welt und außerdem waren sie ja auch Zwillinge!

Megumi stand auf und ging zu dem Waschbecken in ihrer beider Zimmer, um sich den Schweiß abzuwaschen. Der PVC unter ihren Füßen war kalt, im Gegensatz zu der verbrauchten, feucht- warmen Luft in dem Zimmer. Auf Zehenspitzen hüpfte sie zum Waschbecken und zog sich das feuchte Nachthemd über den Kopf. Nun fror sie. Sie drehte den Wasserhahn auf und wartete, bis das Wasser nicht mehr kalt war. Gründlich wusch sie sich Erst danach nahm sie sich ein sauberes T- Shirt und kroch zurück unter die warme Decke zu Setsuna.

Was Megumi ein wenig wunderte, daß Setsuna noch nicht aufgewacht war. Sonst war der Schlaf ihres Zwillings nicht besonders fest oder gar wirklich tief. Aber Setsuna lag noch immer da, unter der Decke versteckt und in unruhigem Schlaf. Megumi schob die Decke etwas herab. Setsuna stöhnte leise und regte sich in ihrer unbequemen Position. Das schwarze Haar, stellte Megumi erschrocken fest, war weiß, genau wie in ihrem Traum. Setsunas langen, schwarzen Haaren fehlte jede Farbe. Sie waren weiß geworden. Weiß, wie frisch gefallener Schnee.

Außerdem war Setsunas Gesicht Tränen naß. Noch nie zuvor hatte Megumi Setsuna in solch einem Zustand gesehen. Setsuna, der Starke, der Unerschütterliche...

Dann öffneten sich Setsunas Augen.

„Megumi...“ wisperte Setsuna und wischte sich mit dem Handrücken über die Augenlider. „Es tut weh... was ist das?!“

Wortlos starrte Megumi in Setsunas rot geränderte Augen. „Megumi...“ Setsuna stemmte sich auf die Hände hoch. Das lange Haar fiel ihm über die Schultern, doch scheinbar bemerkte er nicht, daß es weiß war. Wie konnte das sein?! Megumi richtete sich auf und zog die Beine an den Leib. Setsuna, der auf dem Bauch lag, stemmte sich ganz hoch. „Megumi, was ist? War das ein Traum?“

Für eine Sekunde wußte Megumi nicht, was sie antworten sollte. Setsuna konnte doch nicht den gleichen Traum gehabt haben? Aber, warum hatte er plötzlich weißes Haar, wie auch Der Setsuna in ihrem Traum...

„Hüter der Vergangenheit,“ flüsterte sie und streckte gleichzeitig ihre Finger nach seinem Haar aus, führte die Bewegung aber nicht zu ende, als sie merkte, wie er zusammenzuckte. Ganz automatisch sah er an sich herab... und bemerkte die weißen Strähnen, die wie Silberfäden über seinem schwarzen T- Shirt hingen. Sein Blick blieb einen endlosen, schrecklichen Moment an seinem Haar hängen, bevor sein Blick sich in Megumis bohrte.

Wortlos stand er auf und ging zum Schreibtisch, nahm seine Papierschere aus seinem Leder- Mäppchen und ging zum Spiegel.

„Was machst du?“ fragte Megumi alarmiert.

Setsuna antwortete ihr nicht. Entschlossen schnitt er sich die erste Strähne ab. Megumi fuhr aus den Kissen und war bei ihm, bevor er noch eine weitere Strähne abschneiden konnte, fiel ihm in den Arm.

„Nicht Setsuna!“

Er ignorierte sie und schnitt eine weitere Strähne ab.

Für einen Moment kam sich Megumi verloren vor, verraten, als wolle sich Setsuna nun mit aller Gewalt von ihr unterscheiden, mehr denn je zuvor ein Individuum sein, mehr, als nur ihr Clon. Mit einigem Schrecken realisierte sie, in welcher Richtung sich dieser Gedankengang entwickelte. Sie spürte, wie Besitzergreifend das war... Instinktiv machte sie einen Schritt zurück und wendete sich ab. Sie hatte nicht das Recht, sich so an Setsuna zu klammern... Betroffen ging sie zu ihrem Bett und setzte mit untergeschlagenen Beinen auf die Decke und starrte vor sich hin. Zwischen Gedanken, Gefühlen und Fetzen ihres Traumes begann ihr Geist umherzuirren, auf der Suche nach einem Punkt, an dem er sich ausruhen, halt finden konnte...

Sie wußte nicht, wie lange sie so dagesessen hatte, aber irgendwann fühlte sie Setsunas Hand auf ihrer Schulter. Er hatte sich hinter sie auf das Bett gesetzt und zog sie mit sanfter Gewalt in seine Arme.

„Was fürchtest du, Megumi?“

„Was war das für ein Traum?“ fragte sie, als habe sie seine Frage nicht gehört. „War es ein Traum? Versucht sich in uns etwas zu erinnern, was vor der Zeit hier im Heim war?“

Setsuna schlang beide Arme um seine Schwester und drücke sie fest an sich.

„Das ist elf Jahre her. Wir waren Kleinkinder, als wir herkamen. Ich glaube nicht, daß es viel Erinnernswertes gibt, wenn man vier ist.“

„Aber dein Haar...!“ Sie entwand sich Setsunas Umarmung und drehte sich zu ihm um... Er sah so anders aus, dachte sie beiläufig, so fremd, aber auch zugleich noch zerbrechlicher als je zuvor. „Wie kann das passieren? Du siehst aus, wie in meinem Traum!“

Setsuna antwortete nicht gleich. Er strich sich eine der kurz geschnittenen Strähnen aus der Stirn und schüttelte den Kopf. „Laß uns morgen, in Ruhe eine Lösung für das Problem finden, okay?“

Megumi warf ihm einen Blick zu, der die Hölle hätte gefrieren lassen können. „Du willst mir jetzt nicht erzählen, daß du wieder schlafen gehen möchtest?!“

Er nickte ernsthaft. „Logisch. Morgen Früh sieht alles sicher etwas weniger schlimm aus. Vielleicht hat ja der Traum eine Lösung, oder eine Fortsetzung. Vielleicht finden wir auf dem Weg eine Lösung...“ Er lächelte, stand auf und zog sie vom Bett hoch. „Komm schon. Ich habe ehrlich keine Lust jetzt die Nacht über einem Problem zu brüten, für das ich echt zu müde bin.“

„Setsuna, wie willst du morgen deine Haare erklären?“ Sie streckte ihre Hand nach seinem kurzen, ins Gesicht gekämmten Haaren aus und fuhr vorsichtig hindurch, als könne sie sich a

daran verbrennen. Er ergriff ihr Handgelenk und zog sie wieder zu sich. „Hübsch, nicht?“ fragte er spöttisch in ihr Ohr.

„Idiot!“ sagte sie leise. Zugleich spürte sie, wie seine Finger ihre Haare durchkämmten. „Ich muß mich doch auch erst daran gewöhnen. Aber, kannst du dir vorstellen, wie das aussähe, immer mit diesen weißen, langen Haaren rumzulaufen?“

„Wir hätten sie färben können.“

Er schob Megumi auf Armeslänge von sich und zog eine Grimasse. Willst du jetzt die restliche Nacht mit mir darüber diskutieren?“

Niedergeschlagen sah Megumi zu Boden. „Nein, aber...“

Setsuna schob seine Schwester zu seinem Bett hinüber und schubste sie wieder in die Kissen. Mit Schwung sprang er über sie hinweg und ließ sich neben ihr fallen. Bevor Megumi sich wieder aufsetzen konnte, Umklammerte er sie und schmiegte sich vertraut an ihre Schulter. Megumi seufzte und schüttelte den Kopf. „Du bist echt mies!“

Setsuna richtete sich wortlos auf und zog seine Decke über seine Schwester und sich.

In den Armen ihres Bruders fühlte sie sich sicher. Nach einer Weile schlief sie wieder ein. Diesmal tief und Traumlos.

 

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(c) Tanja Meurer, 2000