A Vampires Tale

Short Story

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Mit hereinbrechender Nacht begann auch der Regensturm, den Justin bereits vor Stunden vorher prophezeit hatte. Ein gewaltiger Sturm mit Schnee durchmischt, der die wenigen, vereinzelten Bäume in den Feldern peitschte und die Weinstöcke in den Hügeln rechtsseitig neigte und zu brechen drohte. Brechen würde das Wintergeschädigte Holz sicher früher oder später und die Weinbauern um eine reiche Ernte bringen. Ein schmaler Bach, der gering zu viel Wasser führte, schlängelte sich an dem nahen Weinbauerndorf vorüber, durch die Felder, die vermutlich im Sommer golden vom Korn waren. Einige Gehöfte aus groben Bruchsteinen säumten die unsichtbare Ortsgrenze. Sie hatten das letzte Dorf erst vor einer kurzen Zeitspanne verlassen. Es war eine wundervolle, malerische Gegend, die sie seit Tagen durchreisten, ignorierte man das schlechte Wetter und die winterliche Kälte.

Justin schloß seinen Mantel und lehnte sich ein wenig gegen den Wind. „Wollen wir zurück? Zwischen den beiden Dörfern war ein Gasthof.“

Sein gering größerer Gefährte zog seine Kapuze über den Kopf und strich sich mit seiner schlanken, feingliedrigen Hand schwarze Haarsträhnen aus den Augen. „Nein, nicht zurück, Justin,“ sagte er leise, so daß der Sturm seine Worte von seinen Lippen riß. Dennoch verstand Justin seinen Freund und nickte. Fröstelnd zog er die Schultern hoch und schüttelte sein dichtes, kupferrotes Lockengewirr. Regen und Schnee schimmerten auf seinen langen Haaren und der Sturm trieb ihm die Strähnen in sein zartes, blasses Gesicht. „In den letzten Nächten fanden wir selten einen Unterschlupf,“ erinnerte er, ging aber schnellen Schrittes neben seinem Gefährten her. „Wenn wir dort keinen Gasthof finden...?“

Sein Begleiter lächelte, den Kopf gesenkt. Seine smaragdgrünen Augen schimmerten sanft, fast zärtlich, als er Justin ansah. „Wir haben keine Nacht im Freien verbracht, oder?“

Justin seufzte und schluckte dabei Haar. „Nein, aber mir fehlt ein wenig Luxus, Lysander,“ entgegnete er. „Und wieviel Nächte haben wir nur in der Schankstube genächtigt, oder mußten uns dafür hergeben, eine Schankmaid zu beglücken?“

Lysander antwortete nicht sofort. Sein Blick richtete sich auf den dürftig gepflasterten Weg, seine eigenen Schritte, die wie dunkle Schatten zu huschen schienen, jedes mal, wenn sein Mantel weit genug aufklaffte. Schneeflocken, schwer und naß zerplatzten auf dem Boden. Sein schwarzer, langer, dicker Zopf, den er an diesem Morgen geflochten hatte, schlug wild um seine Beine. Seine Lippen zuckten leicht. Wasser liebte er, Kälte nicht. Im Gegenteil. Sie biß durch seine Kleider, den Mantel, das dünne Hemd und das wattierte Wams. „Sei unbesorgt, Justin. Wir haben genug Geld für ein Zimmer. Du mußt weder Singen noch Spielen und ich will keines meiner Bilder verkaufen. Keine kleinen Mädchen, mit denen du dein Bett teilen mußt, mein schöner Freund und kein Mädchen in meinem Bett.“

Die lapisblauen Mandelaugen in dem feinen, zarten, glatten Gesicht Justins, daß soviel schöner war, als alles Menschliche, was Lysander je begegnete, leuchteten. Dieser Mann war jung und schön, rein wie kein anderer und dennoch weise und klug, voll Wissen, die ein Alter beschrieb, was er nicht haben konnte. Dennoch gefiel Lysander nicht, wie ihn Justin ansah. Er kannte jedes Gefühl, jeden Gedanken seines Freundes, die Liebe und Zärtlichkeit, die ihm Justin entgegen brachte und die Bewunderung. Ihm war auch bewußt wie er selbst wirkte. Genau wie Justin war er übergroß und feingliedrig, schmal, fast hager, aber auch androgyn und schön, wirklich schön, wie ein Engel. Beide wirkten unglaublich jung und stachen in jeder Weise aus der Masse hervor. „Wir werden naß bis auf die Haut,“ erinnerte Lysander sanft.

Justin nickte und strich sich mit einer eleganten Bewegung das Haar aus den Augen, wobei sein Mantel aufklaffte und der Sturm den dicken, schlichten Stoff weit um seinen zarten Leib bauschte, aber auch eine Silberflöte an einem ledernen Band enthüllte und ein in Samt eingeschlagenes, sperriges Instrument und eine schlichte Leinentasche.

Ihn störte das Wetter scheinbar nicht, dennoch sehnte er sich nach der Sicherheit eines Gasthofes.

 

Rauch aus Schornsteinen und erleuchtete Fenster, aber auch menschenleere Straßen und beängstigende Stille empfing die beiden Wanderer am Ortsrand. Selbst zu später Stunde wirkte kaum ein Dorf oder gar eine Stadt ausgestorben, wie diese. Aber in den letzten drei Tagen hatte, so glaubte Lysander nun erst zu bemerken, die Gastfreundschaft abgenommen und das Mißtrauen im gleichen Maße zugenommen und nach Einbruch der Dämmerung wagte sich kaum ein Bewohner noch auf die Straße. Justin zog seine dünnen, fein geschwungenen Brauen zusammen und wischte sich mit dem Handrücken sein Haar, was der Sturm in sein Gesicht trieb, zurück. Seine unnatürlich großen Augen schimmerte und entwickelten dabei ein unheimliches Feuer, was aus sich selbst heraus zu leuchten schien. „Ob wir das Mißtrauen und den Aberglauben noch vertiefen?“

Lysander lächelte ohne jede Spur von Humor. „Aberglaube? Wie kommst du auf diesen Gedanken?“ Seine vollen Lippen verzogen sich spöttisch. „Vielleicht ist etwas Wahres daran, vielleicht nicht.“ Er betrat den Weg, der das Dorf in zwei ungleiche Hälften spaltete. Wenige Häuser oder Höfe übertraten eine Höhe von zwei Etagen, was einen offenen Blick auf zwei unterschiedlich alte Kirchtürme erlaubte, einer, der vermutlich neuere an der Straße, der andere am Rand des Dorfes, fast schon in den Feldern... den Friedhof daran angeschlossen.

Gegenüber der neueren Kirche befand sich ein Gasthof, groß, gepflegt und stolz, höher als die meisten Gebäude hier. Er unterschied sich in der Bauweise vom Rest der Häuser. Man hatte keinen Sandstein verwand, sondern in völlig untypischer Weise kompliziertes Fachwerk aufgebaut. Der Baumeister schien das Vorhaben, ein Haus für die Ewigkeit zu schaffen, in die Tat umgesetzt zu haben. Ähnlich sah es mit der Kirche gegenüber aus. Selbst das Haus des Bürgermeisters ließ es an solcher Größe und Pracht mangeln. „Ob sie uns einlassen?“ fragte Justin wenig überzeugt. „Uns abzuweisen, wäre gegen jede Gastfreundschaft, der sich die Menschen hier bislang rühmten.“ Lysander lächelte. „Laß uns anfragen. Sonst verspreche ich dir eine Nacht, die zugig und kalt wird.“

Das Versprechen gefiel Justin nicht so recht. Er nahm die vier Stufen bis zur Türe und stellte fest, daß sie bereits verschlossen war. Seine schmale, elegante, weiße Hand schloß sich um einen schweren Eisenring, dem die Witterung und die Jahre zugesetzt hatten und schlug ihn gegen die rostige Platte darunter. Hohl klang der erste Schlag nach, nicht wie Eisen auf Eisen. Vielleicht betrog Justins Gehör sich selbst, denn der nächste Schlag des Klopfers ließ nichts falsches oder seltsames nachhallen. Schritte näherten sich der Türe, hielten an, jemand schob einen Riegel zur Seite, ohne jedoch zu öffnen.

„Wer verlangt Einlaß?“ Es war keine Frage, nicht wirklich. Justins Blick verdüsterte sich.

„Wir sind wandernde Künstler, die durch das Land ziehen...“

„Verschwindet!“ unterbrach die Stimme Justin barsch. „Ich will keine Bettler hier!“ Die Schritte entfernten sich wieder.

„Lysander, ich hatte recht,“ sagte Justin bitter, senkte den Kopf gegen den Wind und zog nun doch den Mantel über den Schultern enger zusammen. „Vielleicht finden wir eine Scheune, die nicht abgesperrt ist.“

Lysander nickte still und öffnete seinen Mantel, um ihm darunter Schutz zu bieten. Der rothaarige Justin nahm sein Angebot ohne Umschweife an und drängte sich eng in die Wärme, die Lysanders Körper ihm bot. Fast zärtlich schlang Lysander seine Arme um ihn und hielt ihn. „Vielleicht gibt es eine Taverne, einen anderen Gasthof, mein Freund.“

 

 

Niemand öffnete, oder gewährte ihnen Unterschlupf. Mit der Nacht und dem Sturm glaubte Lysander, die einziehende Angst und das Mißtrauen der Menschen zu riechen. Wenn kein Wunder geschah, würden sie die Nacht in der Kälte verbringen. Er sah seinen Freund an und ihm tat es leid, Justin um Hilfe gebeten zu haben. Dieser Mann lebte in einsamem Luxus und liebte die Stille und den wilden Landstrich in der Camargue, in der sein Schloß stand. Ja, Justin besaß Land und einen Titel, dennoch fern des Trubels und der höfischen Etikette. Er umgab sich mit Künstlern und Philosophen, Tieren und Pflanzen. Und niemand konnte ihm das Wasser reichen. Wie auch. Auf seinen Schultern lastete das Gewicht von eintausendzweihundert Jahren und er einte das Wissen unzähliger Völker, Rassen und Kulturen.

"Die Kälte betrifft dich doch?" fragte Lysander leise. Justin nickte stumm und schmiegte sich dabei an seinen Gefährten, der ihm mehr war, als ein einfacher Wandergefährte und Freund.

"Es tut mir leid," sagte Lysander unvermittelt. Ohne den Kopf zu heben entgegnete Justin: "Es ist meine Wahl gewesen, mein Freund. Wenn du mich um etwas bittest werde ich dich nicht allein lassen." Er lächelte dabei dünn. Lysander spürte Justins Hände, die zärtlich über seine Brust streichelten und in seiner schmalen Taille zur Ruhe kamen. Es verletzte Lysander viel mehr, daß er Justins Liebe nicht zu erwidern vermochte, als es vermutlich Justin selbst empfand. Die Zuneigung, die Lysander ihm entgegen brachte, war eine tiefe, sehr zärtliche und vertraute Freundschaft, die Geheimnisse nicht kannte, verstärkt durch gemeinsame Abenteuer, gemeinsames Leid, Träume und Hoffnungen und eine einzige, für beide unvergeßliche Nacht, die bereits mehr als zweihundert Jahre zurück lag. Der Verdacht, daß sie ein Paar waren drängte sich schnell auf, so nah, wie sie sich standen. Dicht aneinander gedrängt huschten sie im Schatten der Häuser entlang und links neben der Kirche von der Hauptstraße ab, weiter in das Dorf hinein, um einen Schlafplatz zu finden. Lysanders Zuversicht drückte ihm nun vor verletztem Ärger fast die Kehle zu. Hinter der Kirche gab es noch eine älteren, schäbigen, kleinen Gasthof. Gasthof? Es sah nach einer Schankstube aus, die zwei oder drei Räume darüber hatte, oder vielleicht auch nur einen Schlafsaal.

"Versuchen wir es," lächelte Lysander, seine Wut auf sich selbst herunter würgend. "Vielleicht gibt es doch noch ein paar einsichtige Menschen." Justin richtete sich zu seiner vollen Größe auf und der Sturm traf ihn wieder hart mit Regen und Schnee, trieb seine langen, wilden Locken um seinen schlanken Leib und schlug Strähnen davon in seine Augen und in sein schmales, bartloses Gesicht. Nun enthüllten sich erst wirklich seine feinen, schlanken Ohrspitzen, die unter seiner Mähne verborgen waren. Lysander zog sorgsam die Kapuze des Mantels, den Justin trug über seinen Kopf und blinzelte ihm freundlich zu. "Das abergläubische Volk braucht nicht noch mehr Stoff für seine Legenden. Wer weiß, was sie sich zusammendichten, wenn sie sehen, daß du ein Elf bist." Justin schlug die Lider herab und lächelte böse. "Ein Elf. Für sie sind wir doch nur Fabelwesen."

"Deshalb," lächelte Lysander und nickte seinem Freund zu, ihm zu dem schäbigen, eineinhalb geschossigen Haus zu folgen.

Man hatte den hilflosen Versuch unternommen, die Bruchsteine mit Mörtel zu verputzen und alles weiß zu streichen, bis auf Fenster und Türrahmen, die jemand in einem scheußlichen Taubenblau ummalt hatte, genau dieselbe Farbe, die auch die Läden hatten, durch die rauchiges Licht schimmerte. Über der Türe stand der Name des Hofes und das Baudatum des Hauses. Lysanders Augen verengten sich. Er sprach und las sechs menschliche Sprachen und dennoch war es ihm unmöglich, die Buchstaben zu entziffern, was nicht zuletzt daran lag, daß die Farbe bereits abblätterte.

Nachdenklich betrat er die erste der drei Eingangsstufen und suchte vergebens nach einem Türklopfer oder einem Klingelzug. Zögernd klopfte er an die Türe. Eine Zeit lang geschah nichts. Kein Laut drang von innen her. Lysander drehte sich schulterzuckend um, als Schritte langsam und schwerfällig alte Stufen herabkamen und sich schlurfend zur Türe bewegten. Ein Balken, der vermutlich die Türe verschloß, wurde aus seinen Trägern gehoben und sachte auf den Boden gestellt. Dann schwang die Türe auf und eine kleine, schmale, alte Frau erschien unter der Türe im Licht einer Öllampe. Die Last vieler Jahre Arbeit hatten ihren Rücken gebeugt und in ihr schmales Gesicht tiefe Linien gegraben, ein dichtes Netz aus Falten, was ihr Aussehen in früheren Jahren zu erahnen nicht mehr gestattete. Aber zwei wache, leuchtend blaue Augen sahen zu Lysander hoch, dem sie höchstens zu den unteren Rippenbögen reichte, standen sie nebeneinander. Ihr Silberweißes Haar hielt sie streng unter einer weißen Spitzenhaube. Dieselbe Spitze, aus der auch ihre bestickte Bluse gearbeitet war. Der Stoff hatte seine Besten Zeiten lange hinter sich, war aber sauber und rein. Sie trug eine Art Wams aus dunkler Wolle und mehrere Röcke, über denen sie eine Schürze gebunden hatte. Über den schmalen Schultern hing ein gehäkelter Schal und auf ihrer eingesunkenen Brust hing ein feines, filigranes Goldkreuz. Der einzige Schmuck, von einem dünnen, abgetragenen Ring aus Gold, in dem ein Rubin gefaßt wurde, abgesehen, der an ihrem rechten Ringfinger steckte. Ihre knochigen Hände stützten sich auf eine schlichte, hölzerne Krücke. Als sie Lysander und Justin, der dicht hinter ihm stand genauer im dürftigen Schein ihrer Lampe sah, lächelte sie plötzlich traurig.

Lysander verneigte sich vor ihr. "Verzeiht uns bitte die späte Störung, Madame. Habt ihr Zimmer für zwei Reisende?"

"Mein Gasthof ist schon lange Jahre geschlossen, meine Herren," sagte sie mit überraschend klarer Stimme. "Aber ich nehme an, ihr werdet in diesem Sturm nirgends ein Zimmer finden. Also tretet ein."

Lysander sah sie überrascht an, folgte aber ihrem Winken, als sie zurücktrat und ihn und Justin an sich vorüber ließ. Hinter ihnen schloß sie die Türe und legte den hölzernen Balken wieder vor, wie Lysander es angenommen hatte. Vor ihnen erstreckte sich ein sehr enger, nicht besonders langer Gang, der zu einer Hintertüre, aber auch zu einer Treppe und zwei verschlossenen Türen führte. "Wir möchten euch in keiner Weise zur Last fallen, Madame," sagte Justin leise und neigte vor ihr sein Haupt. Sie drehte sich zu ihnen um und öffnete eine der zwei Türen, links des Flures. Vor ihnen enthüllte sich ein kleiner Gastraum. Wenigstens war es wohl einst einer. Der Holzboden und die Decke, wie auch die Trennwände waren aus einfachen Bohlen und grau vom Alter, aber sauber und ohne Staub. An der von der Kirche abgewandten Außenwand schmiegte sich ein großer, dunkelblauer Kachelofen an, der angenehme Warme verbreitete. Vermutlich reichte er noch in den Nebenraum, in dem Lysander die Küche vermutete, in den ein Durchgang führte. Bänke standen an den Wänden und der eine oder andere Tisch noch. Auf Regalbrettern thronten schwere Krüge aus Holz und Ton, in einem Schrank Becher und Teller.

Die alte Dame stellte die Lampe auf einem Tisch ab und drehte sich zu ihren beiden Gästen um.

"Ihr werdet mir sicher nicht zur Last fallen, junger Herr. Ich habe lang keine Gäste mehr hier gehabt. Es ist gut, einen Abend nicht allein zu verbringen." Sie lächelte wieder. "Legt eure Mäntel ab. Ich werde derweil Tee aufsetzen." Lysander nickte dankbar. "Wir werden natürlich eure Gastfreundschaft entlohnen."

Abwehrend hob sie eine Hand und deutete ein Kopfschütteln an. Justin, der sein Instrument auf einem Tisch ablegte, nahm den Mantel von seinen Schultern und legte ihn über eine Bank.

"Ihr seid ein Spielmann?" fragte sie und sah voll Faszination auf das in Samt eingeschlagene Instrument. Justin nickte. "Ja, Madame."

Auch Lysander legte seinen Mantel ab und legte seine Mappe und das Futteral, in dem er Rötel, Kohle und Kreide aufbewahrte, nieder. Ihre Augen drückten Bewunderung aus. "Erzählt von euren Reisen und spielt, bitte, das ist mein einziger Wunsch."

 

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(c) Tanja Meurer, 1998