Midnight Tales
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Comment Lysander Zog seine Tochter auf sein Knie, während Ki'éll seine Arme um den Hals seines Vaters schalng und sich zwischen seine weichen, sanften Federn Kuschelte. 
"Lysander!" rief einer seiner Süler. "Erzähle uns etwas!" 
Der Magier senkte nachdenklich den Kopf... Nach Seknunden entschied er sich zu einer Geschichte, die slebst ihm seltsam vorkam. Und doch, sie war so passiert, in einer anderen Zeit und einer anderen Welt, dort, wo man ihn Gabriel nannte... 

"Gabriel zog schweigend den Mantel enger um seine Schultern und schritt, den Kopf gesenkt, Anjuli in einem Arm, über das glitschige Kopfsteinpflaster der Augustiner Straße, auch wenn sie damals noch einen anderen Namen trug. Als der Mantikor keine Antwort bekam, nickte er nur. „Du hast damals ihr Leben geschont, in der Glashöhle. Du hättest so leichtes Spiel mit ihr und ihren Kindern gehabt. Sie war hilflos.“ 
Gabriel erinnerte sich sehr wohl noch an diesen Tag in der Wüste, an die Höhle mit dem Mantikor, der seine Kinder hütete und nicht so aussah, als hätte sie große Probleme, einen frechen Elfen und einen erschöpften Magier zu fressen. Der Elf hätte beinah in seiner Panik eine Katastrophe heraufbeschworen. Ein Kampfzauber, sei es nun ein Feuerball, oder ein Blitzstrahl, konnte den Mantikor höchstens noch zorniger machen und den Elfen und Gabriel verwunden. Also versuchte Gabriel sein Glück. Es gelang ihm, den weiblichen Mantikor davon zu überzeugen, daß es für alle beteiligten besser sei, sie würde ihn und den Elfen in Frieden ziehen lassen. Seine Überzeugungskraft reichte aus, bis er bemerkte, daß etwas, daß deutlich stärker und boshafter war, als ein Mantikor, sie verwundet und eines ihrer Kinder getötet hatte. Wortlos setzte er sich an ihre Seite und begann sie zu heilen, so weit es in seinen Kräften lag. Selten fand er Dankbarkeit in den Augen einer Kreatur. Aber sie dankte ihm, still, würdevoll. Aber es brach ihm in dieser Nacht das Herz, als ihm bewußt wurde, da0 der winzige Leib ihre Kindes auf ewig tot bleiben würde. Er ging damals so still, wie sie ihn verabschiedete. Und obwohl der verrückte Sonnenelf bei ihm war, fühlte er sich einsamer denn je. 
„Mein Vater erinnerte sich sein ganzes Leben daran und er erzählte mir, die Menschen seien eine bewundernswerte Rasse. Du hast ihn davon abgebracht, Menschenfleisch zu essen. Damit wurde er zu einem Ausgestoßenen.“ Der Mantikor betrachtete Gabriel von der Seite. Sein Blick hatte etwas forschendes, ungeduldiges. Dennoch schwieg Gabriel weiterhin. Er hielt Anjuli eng an sich gedrückt, schützend. Sie fror erbärmlich. „Aber es war nicht schlimm,“ setzte der Mantikor seine Erzählung fort. „Wir ertragen nie sehr lange die Gesellschaft unserer eigenen Art.“ Überrascht hob Gabriel nun doch den Kopf. „Meine Familie ist verrufen,“ sagte der Mantikor lächelnd, ohne Ironie oder Wut in seiner Stimme. 
„Wie ist dein Name?“ fragte Anjuli leise. Ihre Zähne schlugen hörbar aufeinander. 
„Calem Se Gaina Na Torell.“ Der Mantikor blieb kurz stehen, um sich zu schütteln. Glitzernde Wassertropfen stoben in alle Richtungen. „Calem, Sohn von Gaina und Torell,“ übersetzte er. Dann sah er sich ein wenig mißtrauisch in den engen Häuserschluchten um. „Wie mein Vater vermag ich die Gestalt zu wechseln,“ murmelte er. „Wir lebten lange unter Menschen, behütet von ihrer zerbrechlichen Gestalt, die uns Schutz bot.“ 
Ein heller Blitz fuhr herab, untermalt von bebendem Donner. Wenige Häuserblocks von ihnen entfernt barsten Stein, Holz und Glas. Anjulis leiser Aufschrei verstummte, als Gabriel sie in seine Arme schloß und festhielt. Auch Calem zuckte zusammen und winselte leise. „Sie will uns aufspüren. Sie weiß, daß ich überlebt habe. Leben lassen kann sie mich nicht!!“ 
„Wer ist sie?!“ zischte Gabriel, der selbst den Hauch eisiger Angst spürte. Erschrocken mußte er feststellen, daß sein Herz raste und sein Blut zu Kochen schien. 
„Sie hat uns aufgespürt und gefangen. Nicht nur mich. Uns alle. In ihren Käfigen sitzen Echsenmenschen, Einhörner, Rattenmenschen, Oger, Orcs und Lamia. Sie hat selbst einen Rhakshasah und einen Drachen, von allen schwächeren Kreaturen ganz zu schweigen. In ihrem Zirkus sind Kreaturen, kleine Feuerechsen, Drachlinge, selbst Pixis und verschiedene Feenwesen. Sie zieht mit uns durch die Welt und die Wirklichkeit, wie es ihr gefällt. Und in jeder Stadt, jedem Ort, den wir erreichen, brechen Wahnsinn und Tod in das Leben der ahnungslosen Menschen. Sie nimmt sich, was sie begehrt. In ihrem Dienst stehen Wesen, die machtvoll genug waren, mich zu töten. Vampire, Wolfswehre, und der Schlangendrachen Kyann Uruhzira.“ 
Wieder fuhr ein Blitz in eines der Häuser. Diesmal näher und sofort schlugen rote Flammen in den Nachthimmel. 
Mit einem Unmenschlichen Schrei fuhr Calem herum und drängte sich in den Schatten einer Häuserschlucht. Nun besaß er nichts majestätisches mehr. Er wirkte wie ein getretener Hofhund, ein oft gequältes und mißhandeltes Tier. Gabriel blickte in den Himmel. Irgendwo, zwischen den Wolken, wand sich etwas gigantisches, schuppiges, ein endloser Leib, bleigrau und schwer. 
Gabriels Mantel glitt von seinen Schultern und fiel auf das schmutzige, regennasse Pflaster. Der stolze, klare Ausdruck auf seinem schönen Gesicht wurde fort gewischt von unsäglichen Schmerzen. Wortlos krümmte er sich. Tränen füllten seine Augen und rannen über seine bleichen Wangen. Anjuli schrie leise auf und umarmte ihn fest, als könne sie ihm die Qualen seiner Rückverwandlung abnehmen. Auch ihr Gesicht wurde Aschfahl, fast bläulich. Schweiß trat auf ihre Stirn und Anstrengung, und Schmerz verzerrten ihr junges Gesicht zu einer furchtbaren Maske. Ihre blauen Lippen zitterten heftig. Trotz des endlosen Todesschmerzes, den sie von Gabriel empfing, trotz der Agonie, die seinen Körper peinigte, ihn zerriß, seinen Leib dehnte und veränderte, konnte sie nicht schreien. Zu groß war dieser Schmerz für sie, zu stark und wild. Er würde sie einfach töten, auslöschen, als habe es sie nie gegeben. Und es gab keine Ohnmacht, die sie vor dem Bewußtsein schützte... Von einer Sekunde zur nächsten zerbrach ihre Welt in Scherben, glitzernd wie die Pfützen am Bahnhof. Dann war alles vorbei. Seidiges, schwarzes Gefieder streichelte sie zärtlich, behütend. Und als sie aufsah, in Gabriels schönes, übermenschliches Gesicht, empfand sie nur noch Freude. 
Es war Gabriel, ganz sicher. Sein Gesicht war dasselbe, auch wenn seine Haut nun schwarz und glatt wie Obsidian war und genauso schimmerte, und er nun deutlich über zwei Meter Körpergröße erreichte, obwohl sein dichtes, seidig glattes Haar nun ein schwarzer Mantel war, der ihm bis zu seinen Füßen reichte und er völlig nackt da stand, nur im Schutz seiner gewaltigen Schwingen. Das sanfte, zärtliche Licht seiner Augen streichelte sie dankbar. „Ich liebe dich so sehr,“ flüsterte er, bevor er sich behutsam von ihr trennte und in den gewittrigen Nachthimmel stieg. 

„Ein solches Geschöpf wie dich, habe ich im Lauf meines Daseins noch nicht gesehen,“ flüsterte der schöne junge Mann, dessen schwarze Locken offen und weich über seinen Ledermantel fluteten. Er saß im Schatten einer Dachgaube, auf dem Sims, eine Hand um den Kopf eines kupfernen Wasserspeiers geklammert, die andere locker in den Schoß gelegt. „Und ich dachte, du wärest einer meiner Art.“ Er lächelte auf seltsame Weise zärtlich und entblößte zwei feine, blendend weiße Fangzähne, die über seinen Eckzähnen wuchsen. Seine hellen Augen folgten aufmerksam Gabriels schlankem Leib, der sich kraftvoll und elegant in die nasse Kälte hinauf erhob, seine Schwingen, die jeweils fast dreifach so lang waren, wie er nun groß, weit gespannt. „Wie schön du bist...“ 

Einst war es für Gabriel, oder auch Lysander, wie er sich vor so ewig langer Zeit nannte, schwer, sich in der Gestalt des schwarzen Engels zurecht zu finden. Er wuchs als Mensch auf und erlangte sein Wissen über seine wahre Natur erst sehr spät, in der Zeit, in der er aufhörte zu altern. Damals war er Ende Zwanzig und erschrak vor sich selbst. Aber er hatte weit mehr als ein Jahrtausend Zeit, diesen Körper nutzen zu lernen, seine Vorteile und alle Nachteile auszuloten, wovon zweitere sich zumeist auf niedrige Räume, enge Zimmer und die Tatsache beschränkten, daß man mit den Flügeln schwerlich in ein Hemd oder einen Pulli paßte. Nur lieben konnte er diesen wahrlich schönen, unirdischen Leib nicht. Er verabscheute ihn sogar. In Gabriel verbarg sich die empfindsame Seele eines Menschen, nicht die einer übermächtigen Kreatur, eines Monsters. Und er zog alle Mal dieser Gestalt die des Menschenmannes vor. Vielleicht litt er aus diesem Grund alle Höllenqualen, wenn er sich von seiner bleichen, schönen Menschenhülle befreite. 
Ihn erfüllte die Stärke seiner Natur, die übermächtige Magie. Und obgleich es seine Lebenskraft stärkte und er sich ausgeruht und wach fühlte, ekelte er sich vor seinem Aussehen fast. Er fühlte sich unwohl. Mit jedem Flügelschlag näherte er sich weiter dem Schuppenleib des Drachen, der sich im Schutz der schwarzen Wolken bewegte. Er spürte die Anwesenheit einer solch mächtigen Kreatur. Ein Drache, und sei es auch nur ein Schlangendrache, besaß eine überwältigende Ausstrahlung. Einige badeten im Licht von Weisheit und Alter, getragen von mildem Spott über alle jungen, kurzlebigen Wesen, andere besaßen eine erschütternde Brutalität und Gnadenlosigkeit, aber auch eine unbestechliche Langeweile allem gegenüber, daß weniger machtvoll war. Letzten Endes waren auch sie so individuell und unterschiedlich, wie Elfen und Orcs und Menschen. Der einzige Unterschied bestand darin, daß es nur noch sehr wenige Drachen gab. 
Vielleicht war dieser hier einer der letzten. Gabriel durchbrach die Wolkendecke und tauchte in dunklen Nebel und eine noch unangenehmere Feuchtigkeit ein, durch die sich der Schlangenleib wand. Eine Pranke näherte sich Gabriel achtlos. Hatte er wirklich vergessen, wie gewaltig selbst die kleinen Exemplare waren? Gabriel stieß hinauf, durch Windungen seines Leibes und an Doppelschwingen vorbei. Er wußte zu gut, daß der Drache ihn schon längst bemerkt hatte. Aber, scheinbar interessierte es das gewaltige Geschöpf nicht. Der Mannsdicke Leib, die alten, grauen Schuppen, die teils gebrochen und gerissen waren, in denen noch immer antike Waffen staken, all das wirkte auf Gabriel erschreckend. Seine größte furcht lag darin, von seiner Vergangenheit eingeholt zu werden. Und das hier, dieser Drache, war ein Teil seiner Vergangenheit und Erinnerung. 
Plötzlich, durch Nebelschleier sah er den Schädel des Drachen, der sich langsam zu ihm umwendete. Rote dunkle Augen, wie Lava, die erstarrte, musterten die vergleichsweise winzige Gestalt Gabriels, und eine lange Schnauze, verunstaltet, vernarbt, mit langen, gelben Zähnen, wendete sich Gabriel zu. „Lysander,“ sagte er, wobei ein Schwall fauligen, heißen Atems Gabriel entgegen schlug. „Dieses Mal wird dir kein Schattendrache und kein Königsdrache helfen. Hier gibt es nur dich, mich und den Verräter.“ 
Gabriel lächelte sogar recht freundlich. „Wie recht du hast Kyann. Wir sind nicht in unserer Welt.“ Während er noch das letzte Wort aussprach, erfaßte ein blaues Gleißen den Drachen und hüllte ihn ein. Brüllend wand sich das Geschöpf und merkte plötzlich, wie ihm Kraft und Energie fehlten, um sich vor Gabriels Magie zu schützen. Gabriels Gestalt erschien plötzlich ganz nah und warm und übergroß in der Nähe des Drachenkopfes. Kyann brüllte über das Donnern hinweg und spie Säure, ohne Gabriel jedoch zu treffen. Der Magier sah ihn an und lächelte traurig. „Kehre zurück,“ befahl er. 
Die Gestalt des heulenden und brüllenden Drachen glühte mit unglaublicher Helligkeit weiß auf und wurde von den Wolken und der Nacht verschlungen. 
Obgleich er mit dem Ergebnis hätte zufrieden sein können, war Gabriel eher verunsichert und nervös. Niemand konnte einen Drachen einfach so zu seinem Werkzeug machen. Eine Allianz eingehen, gut, aber auch nur unter bestimmten Umständen. Drachen zählten nicht nur zu den ältesten und machtvollsten Rassen, sondern auch zu den unnachgiebigsten und galten als unzähmbar und ewige Einzelgänger. Sicher, sie liebten Anerkennung und Ruhm, waren wie versessen darauf, umschwärmt und vergöttert zu werden, aber auch das verlor nach ein, zweihundert Jahren seinen Reiz. Und mehr noch störte Gabriel, daß es Kyann, den er ebenfalls noch aus seiner Jugend und seiner Heimat kannte, weder überrascht, noch besonders verärgert hatte, ihn zu sehen. Gabriel selbst zählte damals zu den wenigen Magiern, die in die Geheimnisse der Drachen eingeweiht wurden und damit besaß er Macht über Lebende, wie tote Drachen, konnte sie nach belieben rufen und um bestimmte Dinge bitten. Aber eben nicht mehr, als bitten. Ihm schenkten sie Gehör, obgleich er nie, wie viele andere seiner Art um Aufmerksamkeit bettelte und vor ihnen im Sand rutschte. 
Gut. Seine Menschliche Gestalt unterlag diesen Beschränkungen. Die Macht und der Einfluß, den er jetzt, in diesem Körper hatte, übertraf selbst die gerade erst genannten Attribute. Aber Kyann haßte Gabriel, verabscheute ihn in dieser, wie auch der anderen Gestalt und würde sicher alles daran setzen, Gabriel ernstlich zu schaden, wenn er konnte und man ihn nicht darum gebeten hatte, einen ganz anderen Plan zu verfolgen. Vielleicht hatte ihn die moderne Welt mit ihren paranoiden Agentenromanen und Filmen und das ganze, unsinnige Gerede über die Verschwörungstheorie doch ein wenig zu stark beeinflußt, aber Gabriel vermutete wesentlich mehr hinter der kleinen Episode eben, als sie nach außen hin darstellte. 
Als er nach unten blickte, erschrak er. Mehrere alte Häuser standen in Flammen. Wenn er sich nicht sehr täuschte, auch das alte Pestspital. Menschen rannten durcheinander, behinderten sich mehr, als unbedingt hilfreich und andere retteten sich aus den brennenden Gebäuden. Einige versuchten zu löschen, in dem sie Wasser aus den Brunnen am Kirschgartenplatz und von verschiedenen, in der Nachbarschaft liegenden Gasthöfen holten, die ihre Wasserpumpen draußen angebracht hatten. Trotz des Regens schlugen die Flammen höher und höher. Irgendwo, in dem Gewimmel bemerkte er Anjuli, in einer Kette, die Wassereimer weiter reichte. Von Calem aber fand er keine Spur. Waren alle schönen Worte, ihn hier her zu bringen, nichts als eine böse Falle? Gabriel spürte wieder das feine Zupfen an seinem Bewußtsein. Wer auch immer diese Person war, die ihn verfolgte, er mußte sie jetzt ignorieren. Feuerglocken hallten durch die Nacht und Eisen beschlagene Räder rumpelten über das Kopfsteinpflaster. Gabriel sank langsam herab, und seine Gestalt wurde von den Schatten eines engen, dunklen Hinterhofes aufgenommen..." 

Lysander stockte, sah sich um und lächelte. All seine Schüler hingen wie gebannt an seinen Lippen. So überlegte er, ob er ihnen sagen solle, das das, was er erzählte, ihre Zukunft war... aber nach eineigen Sekunden verneinte er. Sie sollten ihr Schiksal selbst wenden können...