Night's End- Der Widergänger |
-Leseprobe- ================================================================================ Für einen
winzigen Moment setzte sein Herz aus, nur um danach wesentlich heftiger
weiter zu hämmern. Er senkte
die Lider und begann erneut einen Zauber zu weben. Die Übermacht konnte ihn
- angesichts der letzten Jahre - in keiner Weise einschüchtern. Im
Gegenteil fand er eher eine unheimliche Ruhe in sich, obgleich seine Gegner
beängstigend schnell näher kamen, ihre Äxte, Schwerter, Peitschen und
Kriegskeulen bereit, seinen Leib zu zerschmettern. In sich sammelte er alle
Kräfte, um seine Magie auszumaximieren. Vielleicht blieb ihm nur die Möglichkeit
für einen einzigen Angriff, allerdings bezweifelte er, dass Orpheu ihn
allein lassen würde. Genauso erwartete er die Hilfe von Raven, Jaquand und
Thorn. Noch bevor
er die letzten Worte seines Zaubers gewebt und er seine Hände seinen
Feinden entgegen gestoßen hatte, erbebte neben ihm der Boden unter einem
unglaublichen Aufprall. Luca musste nicht den Blick zu Orpheu wenden, um zu
wissen, dass sein Hauptmann die theatralisch letzte Sekunde genutzt hatte um
seinen beeindruckenden Auftritt zu geben. Gleichzeitig mit der stummen,
milden Wolke tiefen, magischen Schlafes sprang auch Thorn über die Brüstung
und schlug nicht weniger hart, aber dennoch wesentlich weniger tief im
Felsboden des Kessels auf. Beide Männer
vertrauten offenbar auf den Eindruck, den ihr gewagter Sprung hinterließ,
im gleichen Maße allerdings auch auf ihr furchteinflößendes Aussehen. Während
Lucas Schlafzauber die erste Phalanx der Soldaten und Kerkermeister zum
Stocken brachte, sie mitten im Sprung oder Schritt entschlummern ließ und
sie ihren heranstürmenden Gefährten zu gefährlichen Stolperfallen wurden,
sorgte der Anblick Orpheus in seiner natürlichen, von den Göttern
gegebenen Gestalt, für eine hilfreiche Atempause, die den drei Söldnern
einen sehr großen Vorteil brachte. Thorn zog
seine Schwerter und sprang an seinem Hauptmann vorbei in den direkten
Nahkampf, stach binnen einer Sekunde von den gestrauchelten Menschen zwei
direkt und einen mit der Rückhand nieder. Rammte aus dem Lauf heraus einem
weiteren Mann, der am Boden lag seinen Schwertknauf ins Gesicht und wirbelte
herum um sich den kampfbereiten Soldaten zuzuwenden. Sofort stürzte
sich ein schwerfälliges Wesen, schlecht gepanzert, aber ein Berg aus
Muskeln und Fett, auf Thorn und schwang seine Axt nach ihm. Für einen
Sekundenbruchteil sah es so aus, als träfe er den Halbzwerg zumindest noch
an der Schulter, aber in dem Augenblick machte dieser einen Ausfallschritt,
schlug einem anderen Angreifer die Breitseite seiner Klinge gegen die Schläfe
und rammte in der Rückwärtsbewegung einem der am Boden bereits
Niedergeschlagenen seine zweite Klinge in den Leib. Sein Hauptgegner begriff
die Situation und die fehlende Abwehr Thorns sofort. Er musste seine Axt nur
erneut und dieses Mal von unten herauf schwingen, um den Krieger zu treffen. Ganz
offensichtlich rechnete der Halbzwerg auch damit, allerdings verschätzte er
sich in seinen Chancen. Die tumbe Masse Fleisch und Knochen bewegte sich
kaum anmutig, aber durch den Schwung seiner Waffe getragen schnell und
kontrolliert. Wenige
Meter neben ihm brüllten eine der Wachen auf, getroffen von einem winzigen
Bolzen einer nicht weniger kleinen Armbrust. Zeitgleich schlug der Gegner
Thorns zu. Allerdings fehlte ihm plötzlich jedwede Waffe und sein Schwung
riss ihn nun unkontrolliert halb um seine Achse. Er taumelte in groteskem
Gebaren und starrte verwirrt auf seine leeren Hände. Thorn vergeudete keine
Zeit Luca einen Dank zuzurufen, sondern rammte dem massigen Giganten seine
beiden Schwerter in Brust und Bauch. Ein
weiterer Armbrustbolzen traf mit eisiger Präzision sein Ziel zwischen den
Augen eines bärtigen Wächters, der eigentlich gut gepanzert schien. Einen
Herzschlag später sprang Orpheu in die Masse nachströmender Gegner.
Lederschwingen und Drachenschweif setzte er gnadenlos ein, fegte Männer von
den Füßen und richtete verheerenden Schaden an wohin er trat. Sein Gewicht
reichte um einem unvorsichtigen Mann Brustplatte und Kettenhemd zusammen mit
seinen Rippen in die Lungen zu treiben. Der Vorteil des Hauptmannes waren
seine natürliche Panzerung durch die schwarzen Schuppen, die Reichweite
seiner Flügel und des Schwanzes, aber auch seiner Masse, die ihn bei dem
Sprung von der Serpentine fast einen Fuß tief in den Boden getrieben hatte
und den Stein unter sich einfach zu Staub zermalen hatte. Luca
hatte Wind heraufbeschworen und den giftigen Dunst aus dem Kessel
vertrieben, damit Jaquand freie Sicht erhielt und seine tödlichen Schüsse
ansetzen konnte. Zuletzt
gesellte sich Raven zu Orpheu und Thorn, selbst bereit sich der wenigen übrig
geblieben Wachen anzunehmen. Gleichgültig
wie gut diese Männer ausgerüstet waren, gegen Orpheus kampferprobte
Krieger waren sie keine ernst zu nehmenden Gegner. Luca ließ
die Hände sinken. Glücklicherweise versteiften sich die Söldner bald
darauf nur noch zu verletzen, nicht mehr zu töten. Das beruhigte ihn etwas.
Er hasste es allein schon, sie darin zu unterstützen. Für den Augenblick
brauchten sie seine Hilfe nicht mehr. Er blickte hinab zu dem Elfen, zuckte
aber im gleichen Moment zusammen. Der junge Mann hatte offenbar alle Kräfte
in sich gesammelt und trotz der offenen – schwer blutenden - Wunden auf
seinem Rücken auf Knie und Hände hoch gestemmt. Sein
Gesicht war eine Maske des Schmerzes, aber zugleich verbitterter Wut und
tief sitzendem Hass. Er starrte an Luca vorbei zu einem undefinierbaren
Punkt an der jenseitigen Wand, irgendwo auf Höhe der Serpentinen. Seine Zähne
knirschten aufeinander, die Kiefermuskeln spannten sich und ein feiner
Blutfaden rann aus seinem Mundwinkel. Schweiß bedeckte seine bleichen
Wangen und die flackernden Augen lagen tief in ihren Höhlen. Er bebte am
ganzen Leib, keuchte vor Anstrengung, aber noch immer war er bei Sinnen. Luca
ergriff seine Schultern und stützte ihn behutsam, doch der Junge starrte an
ihm vorbei. Ganz leise, am Rande des noch Hörbaren, wisperte der Elf:
„Luca... sieh doch...!“ Seine
Stimme erstarb in dem hilflosen Versuch nach Luft zu ringen und die matte
Ohnmacht erneut zurückzuschlagen. Nun folgte
der Magier der Aufforderung des Jungen. Für einen
winzigen Moment sah er eine Person nah eines Alkovens in der
Serpentinenwand. Der Mann war weit entfernt, aber klar zu erkennen. Sein
Gesicht – so er es detailliert wahrnehmen konnte - kam Luca vage bekannt
vor. Er war
nicht jung und nicht alt, seine Züge ebenmäßig und streng, aber schön.
Ein fein gestutzter Kinn- und Oberlippenbart gaben seinem Gesicht einen
seltsam fremden, erhabenen Ausdruck und trotz der weiten Entfernung spürte
Luca den überheblichen Blick auf sich ruhen, der diesem Menschenmann zu
eigen war. Etwas in
Gebaren und Gestalt ließen Luca erschauern. Es schien ihm fast als blicke
er tief in die Seele des Magiers, mehr noch, als berühre er seine Gedanken.
Schlimmer als das spürte er die Anwesenheit eines fremden, unsäglich
bizarren und kalten Bewusstseins, was sich in seine Seele zwang und darin zu
lesen schien. Der Elf in
Lucas Armen zuckte zusammen, alle Muskeln spannten sich und die geistige
Verbindung, die der Fremde zu dem Magier aufbaute, eher die geistige
Vergewaltigung, riss ab. Entsetzt wendete sich Luca dem bemitleidenswerten Mann zu, den er immer noch zu stützen versuchte, fuhr aber erneut zusammen. Sensibilisiert und angespannt wie er war, nahm ihn der Anblick nur noch mehr mit. Doch während Luca vollkommen hilflos zusehen musste, wie sich der Junge unter den grausamen Schmerzen wand, immer wieder verkrampfte, beruhigte sich auch sein Verstand wieder. Plötzlich zuckte der Elf zusammen, formte mit seinem Mund stumme Worte und verdrehte die Augen. In der Sekunde dehnten sich seine Glieder und seine Haut verfärbte sich zu einem matten Schwarz. Völlig unspektakulär schien der Beginn der Transformation. Luca allerdings begriff noch bevor sich die schwarzen Schwingen ihren Weg brachen, dass der Junge in seinen Armen ein Seraphin war, ein schwarzer Engel, so wie er selbst.
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(c) Tanja Meurer/ Nordmann Verlag, 2008-2009 |