Der falsche Weg

 

Der helle Lichtblitz kam unvorhersehbar und streckte den alten Mann nieder, ließ seinen Körper auf den Boden schlagen und Saleor glaubte das Knacken seiner eigenen Knochen zu hören. Augenblicklich verschwand jegliches Gefühl aus seinen Gliedern, bevor sie sich mit einem pulsierenden Schlag zurückmeldeten, der ihn aufkeuchen ließ. Er begann sich auf dem Boden zu winden wie ein Wurm, in der Hoffnung die Schmerzen so abzuschütteln und aus seinem gepeinigten Leib zu verbannen, doch das Gegenteil trat ein. Er verschlimmerte sie nur noch, riss sich die schon blutige Haut seines Rückens weiter auf und nahm nur verschwommen wahr, dass das warme, rote Blut den Boden benetzte und in der dunklen Erde versickerte. Mit einem gequälten Ächzen gelang es dem alten Magier sich auf den Bauch zu drehen, präsentierte auf diese Art seinen zerstörten Rücken, der so eindringlich brannte, als hätte man ihm bei lebendigem Leibe Säure über die blasse Haut gestrichen und Saleor versuchte sich mit kriechenden Bewegungen aufzurichten. Mit zusammengepressten Augen atmete er mehrmals tief durch, hoffte so seine Konzentration wieder zu erlangen und den tauben Schmerz aus seiner Gedankenwelt zu verbannen, doch als er mit einem Mal dem Widerstand spürte und kurz darauf einen harten Stoß auf die Schulter versetzt bekam, stöhnte er gequält auf und richtete den Blick nach oben. Zunächst konnte Saleor gar nichts erkennen, das grelle Sonnenlicht stach in seinen Augen und ließ ihn blind vor sich hinstarren. Das Blut lief ihm über das hagere Gesicht und hatte ihm bereits einen Teil der Sicht genommen, doch schließlich vermochte er die Silhouette erkennen, die ihm schon so viele Jahre bekannt war. Eak stand vor ihm, einer der schweren Stiefel ruhte auf Saleors Schulter und damit drückte sein Gegner ihn zurück auf den staubigen Boden, der immer noch gierig das heruntertropfende Blut des alten Mannes trank.

Er hatte verloren, das wurde Saleor schlagartig bewusst und zu seinem größten Bedauern war nicht einmal die Niederlage und der nun bevorstehende Tod schmerzhaft für ihn, sondern die Tatsache, dass es ausgerechnet Eak war, der den entscheidenden Schlag ausführen würde. Wie einen Sohn hatte er ihn vor vielen Jahren bei sich aufgenommen, nachdem er ihn auf einer schmutzigen Straße auf einer seiner Wanderungen nach „Weisheit und Wissen“ aufgelesen hatte. Er erkannte Eaks Talent für die Magie und Zauberei und unterrichtete den Jungen gerne, war Eak doch ein guter Schüler, wissbegierig und nicht minder talentiert, als Saleor es selbst in diesem Alter gewesen war. Auch er hatte früh begonnen sich den alten Formeln hinzugeben und begierig die dunklen Sprüche gelernt, die Macht und Herrschaft versprachen, gleich wenn er nie solche Gedanken gehegt hatte. Saleors Leben war der Drachenmagie gewidmet gewesen, verhöhnt als dunkler Zweig der Zauberei und verachtet für die unbarmherzige Grausamkeit, die die vielen mächtige Formeln mit sich bringen konnten, doch abgeschreckt hatte ihn die Dunkelheit nie, eher angezogen, wie eine Motte von Feuer geködert wurde; Wärme und Schutz versprechend, nur um sie anschließend mit ihren Flammen zu verbrennen. Aber Saleor war nicht verbrannt, er konnte von sich behaupten niemals den dunklen Mächten vollkommen verfallen zu sein, sondern hatte gelernt in Einklang mit diesem düsteren Teil der Magie zu leben und seinen Nutzen aus der Drachenmagie zu ziehen.

Ein Zucken ging durch Saleors Körper, als Eak sich von ihm abwandte und einige Schritte zurücktrat. Das Gesicht seines Schülers war trotz seiner Jugend hart und unnachgiebig, die scharf gebogene Nase blutig, denn auch Eak hatte etliche Verwundungen, die sich wie Furchen durch seine blasse Haut zogen. Gewiss würden Narben bleiben, als ewiges Zeichen und Andenken an dieses tödliche und alles verschlingende Duell. Eak war vielleicht Mitte zwanzig, während sein Gegner deutlich über den fünfzig lag, der dürre, ausgemergelte Körper dem alten Mann jedoch deutlich ein höheres Alter zuschrieb. Saleor war nicht mehr jung und mit ausreichend Mut beseelt um einen Überraschungsangriff zu versuchen; seine Kraft hatte ihn verlassen, seine Reflexe hatten sich geweigert diesem überraschend schnell heraufbeschworenen Zauber auszuweichen und nun lag er am Boden, während Eak noch stand. Eine unvorstellbare Tatsache.

Bewundernswert war es durchaus, immerhin war der junge Mann um viele Jahrzehnte an Erfahrung und Wissen ärmer, doch die Magie schien Eak seit jeher zu lieben und begünstigte jede Bewegung, jeden Angriff und jede Parade von ihm. Schon zu Beginn ihres Duells hatte Saleor dies bemerkt, nein sogar schon zuvor. Ohne es zu spüren oder gar zu wollen glitten seine Gedanken zurück, überbrückten die Lehrjahre und das gemeinsame Training, was beiden viel abverlangte, zeigte Eak sich damals zwar als talentiert, jedoch gleichermaßen als uneinsichtig und ungeduldig. Erst bei dem Abend vor drei Tagen machten seine abschweifenden Gedanken halt, als er durch einem Saigar, einem harmlosen Botschaftszauber, zu diesem Duell herausgefordert worden war. Natürlich hatte er angenommen, wohlweislich, dass dieser Kampf einem von beiden das Leben kosten würde. Schon immer wusste er, dass sich ihre Wege so trennen würden, dass in Eak unbändiger Hass waberte, dem schon damals nicht beizukommen war. Saleor konnte nie herausfinden, was dem Jungen zugestoßen war, doch er spürte den Zorn, der Eak fast lähmen konnte, ihn dadurch auch unvorsichtig machte. Seinen Kampf gegen diese dunkle Macht, die den jungen Mann lenkte, hatte Saleor schon vor Jahren verloren, als Eak ihn verließ um Magie zu lernen, die Saleor ihm nicht beibringen konnte. Eak wollte weiteres Wissen zu sammeln und neue Wege der Zauberei für sich zu entdecken, so wie es einst Saleor getan hatte. Sie waren sich ähnlicher, als beide es zugeben wollten.

Sein Schüler hatte sich der Himmelsmagie zugewandt; weißer, reiner Magie, die schon immer gut und geachtet war und die den vielen Hexenmeistern, die sie anwandten den Titel „weißer Magier“ einbrachten. Diese Zauberer waren gern gesehene Gäste in den Städten, offen und freundlich und auf ihre Art die Beschützer derjenigen, die nicht in der Magie bewandert waren.

Eak jedoch war anders. Saleor wusste, dass Eaks Charakter nicht dem eines weißen Magiers entsprach. Der Hass und die Gier, die den jungen Mann beherrschte, ebenso die Grausamkeit und Kälte die ihn umgab waren einen deutliches Zeichen, dass Eak überwiegend der Drachenmagie angehörte. Sicherlich gab es einige Charakterzüge, die für Himmelsmagie sprachen, dennoch konnte Saleor nicht den Gedanken verdrängen, dass Eak vielmehr aus praktischen Gründen die weiße Zauberei erlernt hatte. Weiße Magier wurden nicht herausgefordert oder gar angegriffen, nicht so wie die Drachenmagier, nicht auf eine Art und Weise wie es Saleor widerfahren war. Nein, es stand immer außer Frage solche Zauberer in irgendeiner Art zu behelligen und das schien Eak den notwendigen Schutz gegeben zu haben, sich auf seine Studien zu konzentrieren, sogar die beiden Magiezweige zu verknüpfen und etwas neues zu kreieren, eine graue Zwischenart der Magie, die die Durchtriebenheit und Härte der Drachenmagie besaß, jedoch ebenso die Reinheit und Helligkeit der Himmelsmagie innehatte. Eine unmögliche Kombination, doch von Eak perfektioniert und auf ihre Art grausamer als die eigentliche Magiezweige es selbst waren.

Der alte Mann verdrängte die Gedanken die Bewunderung für Eak verkündeten und versuchte sich zu erinnern, wie er sich auf das Duell vorbereitet hatte. Saleors Vorarbeit auf den großen Kampf bestand aus Meditation, dem Beten zu Gottheiten, die er viele Jahre verehrt und sich nun in Gedächtnis gerufen hatte, doch ohne fest an sie zu glauben. Unwillkürlich hatte er sich sein Scheitern vorgestellt, gefragt welcher Magier es schaffen würde Eak zu stoppen, der in beiden Magiezweigen bewandert war und mit seinem letzten Angriff bewiesen hatte, dass er die Magie vereinen konnte, eine graue Macht erschuf, die nicht zu bezwingen war. All seine Meditation, das Sammeln der Kräuter und Zutaten, die er für die Beschwörung benötigte, war umsonst gewesen, als Eak ein Wesen beschwor, was ihm bereits zu Beginn des Duells die so dringend benötigten Utensilien stahl und Eak als unschätzbare Quelle für weitere Zauber dienten. All die mühevollen Stunden, die er damit zugebracht hatte die Blüten des Mahins zu finden waren umsonst, hatte Eak doch scheinbar keinen solchen Aufwand bei der Vorbereitung betrieben. Darauf vertrauend die Materialien von ihm stehlen zu können und somit seinen alten Lehrmeister der Zauberei unfähig zu machen.

Saleors, durch die Meditation gefundene, Ruhe war verschwunden, als er den Lederbeutel eingebüßt hatte und schon nach den ersten Minuten des harten Kampfes von wuchtigen Zaubern getroffen worden war, gegen die er nicht einmal angekommen wäre, wenn er seine Materialkomponenten noch besessen hätte. Der Auftakt des Kampfes seitens Eak war wortlos gewesen und gleich eines grauen Lichtblitzes war der unbekannte Zauber auf Saleor zugerast. Mit einer breiten Schneise steuerte der Bannzauber auf ihn zu und nur dank seiner bis dahin schnellen Reflexe konnte er verhindern eine unliebsame Bekanntschaft mit den dunklen Flammen zu machen, die sich jedoch in sein Gewand fraßen und einen Teil seines Umhanges zerstörten. Doch kaum hatte er sich wieder Eak zugewandt, hörte er die bekannte sonore tiefe Stimme des jungen Mannes, der sich augenblicklich auflöste und an einer anderen Stelle auftauchte. Noch bevor er einen Gegenspruch in seinen Gedanken aussprechen konnte, hatte Eak eine Kreatur heraufbeschworen, die ich zutiefst entsetzte, schien sie doch aus der Unterwelt zu stammen. Doch Saleor kannte sie nicht, konnte nicht einordnen, wie sie zu bekämpfen war und das, obwohl er selbst Meister dieses Fachs war, sich ausgiebig mit Dämonologie beschäftigt hatte und selbst fähig war solch dunkle Geschöpfe herauf zu beschwören. Aus dem Augenwinkel sah er den forschen Fingerzeig seines Schülers und sofort raste die Bestie auf ihn zu, doch anstatt ihn anzugreifen, entriss sie ihm lediglich seinen kostbaren Lederbeutel und ließ ihn nun schutzlos zurück. Er konnte sich ab diesem Zeitpunkt nur noch mit Zaubern verteidigen, die er ohne Hilfsmittel beschwören konnte und nun vermochte er auch zu verstehen, warum sich Eak gar nicht auf diesen Kampf vorbereitet hatte. Eak hatte weder Komponenten gesammelt, noch in irgendeiner Art und Weise meditiert. Saleor hatte ihn ausgespäht, gehofft dadurch Aufschluss zu erlangen, was sein Schüler plante, doch dieser ließ ihn wohlweißlich im Unwissen darüber, wie die Strategie des jungen Mannes aussah. Dieser musste schon von Anfang an geplant haben seine Materialien zu stehlen und jedes einzelne, mühsam gesammelte und erworbene Kraut aus seinen alten Händen zu reißen. Sicherlich war dies ein unfeiner und feiger Zug, doch bei einem solchen Magierduell nicht verboten.

Ihm blieb keine Zeit dem Verlorenen nachzutrauern und so hatte er leise Worte gemurmelt, gepaart mit einer eleganten Handbewegung und wob so ein silbriges Netz um sich, welches weitere Angriffe Eaks erfolgreich abwehrte und zurückschleuderte. Dieser minimale Erfolg machte ihn zuversichtlich gab ihm neuen Auftrieb, diesen Kampf unbeschadet zu überstehen und sich gegen seinen alten Schüler behaupten zu können. Voller Tatendrang formulierte er den nächsten Angriff und ließ eine Wand aus Dunkelheit auf Eak niederfahren, der überrascht aufblickte und trotz seines Gegenspruchs von der Schwärze ergriffen wurde. Kurz verschwand er, tauchte dann aber wieder auf, blutete aus einer bösen Verletzung am Arm und hatte tiefe Schnitte in seiner weißen Haut davon getragen. Seine Augen flammten kurz zornig auf, dann deutete gen Himmel du ließ einen wahren Schauer aus Meteoriten auf Saleor hernieder brechen. Sein eigener Zauber band den alten Magier an den Ort und trieb Saleor dazu all seine Konzentration für den Schutzwall aufzuwenden, an dem die Steine krachend zerbrachen und eine wahre Verwüstung in seinem Umkreis anrichteten. Die Erde platzte auf, bebte und ließ die Bäume los, die sich ins Erdreich zu krallen versuchten. Mit einem gewaltigen Donnern stürzten sie um, fingen Flammen und selbst das Gestein schien unter der unbändigen Hitze zu schmelzen. Nur mit Mühe blieb Saleor aufrecht stehen, überstand den Zauber mit Kratzern und einigen Prellungen, als zum Ende hin doch einige Steine ihren Weg durch das Geflecht fanden, ihn aber nicht ernstlich schädigten.

Er wollte gerade aufatmen, als er den brennenden Schmerz spürte, der durch seinen Körper schoss. Eak hatte die Gunst der Stunde genutzt, als sein Zauber am Schwächsten war. Noch bevor er den Schutzwall wieder errichten konnte, hatte Eak ihn angegriffen und mit diesem verfluchten weißen Blitz zu Boden geworfen. Der Kampf mochte nicht länger als zehn Minuten gedauert haben, zu kurz in seinen Augen, um bereits jetzt vor seinem Schüler zu knien, doch sein Rücken war zerstört und zu bildlich konnte er sich die Wunde jetzt vorstellen. Saleor erspähte den Beutel in den Händen des jungen Mannes, während der schwarze Staub einer benutzten Blüte vom Wind hinfort getrieben wurde. Er hatte also seine eigenen Materialien gegen ihn verwendet, ein Umstand, den er bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht gewagt hatte. Doch die Mahinblüten waren stark, vermochten Zauber zu vollführen, die kaum einem solcher Schutzzauber Einhalt geboten hätte und seine Hoffnung auf einen Sieg verschwand aus dem gealterten Gesicht.

 

„Du bist zu schnell am Boden, alter Mann.“, erklang Eaks Stimme, der sich nur zehn Fuß von ihm entfernt aufgebaut hatte und seinen Meister musterte.

„Halt den Mund, du vorlauter Bengel“, krächzte Saleor mühsam und rappelte sich auf. Wenn er schon verlieren sollte, dann würde er sich zumindest das bisschen Würde sichern, die ihm in seinen Augen zustand. Sein Rücken machte sich protestierend bemerkbar, ein fühlte, wie ihm mehr Lebenssaft verließ und mit einem hässlichen Platschen auf die Erde fiel.

„Du hast verloren, Meister“ Aus Eaks Mund klang dieses Wort wie eine Beleidigung und die Tatsache, dass er jegliche weitere respektvolle Anreden fallen gelassen hatte, zeugte nur noch mehr von der Verachtung die er für Saleor empfand. Wütend schnaubte der alte Mann und funkelte Eak aus überraschend klaren Augen an. Für wenige Sekunden hielt dieser starre Ausdruck in dem faltigen Gesicht auch, doch dann bröckelte die mühsam errungene Selbstbeherrschung und Saleor sackte in sich zusammen. Er überblickte seine Chancen, die gleich Null, wenn nicht sogar darunter lagen und wusste nur zu genau, dass Eak ihn nicht all zu schnell sterben lassen würde. Die grausamen Gesichtszüge und diese gierigen, sadistischen Augen waren deutlich genug gewesen. „Bewundernswert, dass ihr nach diesem Zauber noch stehen könnt.“ Er nickte ihm zu und ein fast schon sanftes Lächeln schlich sich auf sein herrisches Gesicht. Scheinbar hatte Saleors Standfestigkeit für den nötigen Respekt gesorgt, denn Eak war unbemerkt wieder zur ehrvollen Anrede zurückgekehrt. „Ich hab ihn selbst entwickelt und ihr seid einer der ersten, der ihn zu spüren bekommt. Er ist eine Mischung aus Drachenmagie und die des Himmels.“ Er wirkte stolz, warf sich ein wenig in die Brust und in einer eleganten Bewegung strich er sich sein rotes Haar aus dem Gesicht. “Ich hab noch keinen Namen dafür, aber sie wird die Welt erschüttern und…“

„Erschüttern?“, fuhr ihm Saleor unwirsch dazwischen und machte eine fahrige Geste mit seiner blutigen Hand. „Was willst du damit erreichen? Du also großer Herrscher an der Spitze?“

Für wenige Sekunden war Eak verblüfft. „Nein, solch niedere Beweggründe habe ich nicht. Ich werde einen neuen Orden gründen, neue Magie unterrichten und damit die Magiezweige miteinander verbinden. Es wird kein schwarz oder weiß mehr geben, gut oder böse. Ihr seht, ich handle vollkommen neutral und werde damit die Welt verändern.“

„Und dafür willst du mich töten?“, fuhr Saleor ihn unbeherrscht an. Er konnte nicht sehen, was Eak überhaupt mit solchen Taten bezweckte. Sollte er doch diesen Orden gründen und sich an neue Magie versuchen. Was kümmerte es einen alten Mann wie ihn, welche Wege seine Schüler einschlugen und er hatte beileibe viele gehabt.

„Ihr habt mich selbst gelehrt immer den größten Unruhepol auszuschalten um ein Ziel zu erreichen.“

„Ich habe gewiss nichts dagegen, dass du einen Orden gründest.“ Hörte sich das wirklich fast flehend an? Bettelte er selbst um sein Leben wie ein räudiger Straßenbettler es tat, wenn er überfallen wurde? Saleor schüttelte den Kopf, doch er bekam lediglich mehr Kopfschmerzen davon. „Deine Gründe liegen für mich vollkommen im Dunkeln.“

„Ihr dürft das nicht persönlich nehmen.“, entgegnete Eak mit einem kühlen Lächeln. „Es liegt nicht an euch, ganz gewiss nicht! Es ist eher eine kleine Schwäche meinerseits, die ich gedenke auszulöschen. Erst dann werden meine Gedanken frei von euren Lehren und Vorstellungen sein.“

Saleor starrte ihn mit Überraschung in den grauen Augen an. War das der Grund für Eaks Herausforderung? Er fühlte sich der schwarzen Magie zu sehr zugewandt, konnte sich von den Riten und Beschwörungen der Drachenzauberei nicht lösen und erhoffte sich durch den Tod seines Meisters Befreiung und Erlösung. Hatte er bisher für Eak Wut und Zorn übrig, paarte sich nun Mitleid dazu. War seine Lehre und seine Schule so einschränkend gewesen und so nachhaltig wirksam, dass sich daraus erst Hass entwickelt hatte? Saleor begann allmählich zu begreifen, was genau Eak mit dem Tod seines Meisters bezweckte. „Glaubst du wirklich du kannst mit meinem Tod deine Vergangenheit auslöschen? All deine Grundlagen stammen von mir, das wirst du nie verleugnen können. Es gab nie schwarze und weiße Magie und nur weil der Volksmund es so weitergibt, muss das nicht zwangsläufig richtig sein. Drachenmagie ist genauso wenig böse, wie Himmelsmagie gut ist. Solche stoischen Verallgemeinerungen gibt es nicht.“ Er steigerte sich immer mehr in seinen kleinen Monolog hinein und zwang Eak mit seinen Blicken zu schweigen und zuzuhören. „Magie besteht immer aus Nuancen, aus unendlich vielen Graustufen und ich bin gewiss neutraler in meiner Ausübung als du. Deine Zauber sind geprägt von Hass und Zorn und du glaubst ernstlich diese Gefühle zu töten, wenn du mich besiegst. Du kannst unmöglich so ein Dummkopf sein.“

„Das ist meine Angelegenheit, ihr seid böse und von der dunklen Magie beseelt.“ Eak war sichtlich verunsichert und deutlich von den Worten Saleors aus dem Konzept gebracht. „Ich spüre keinen Hass, ich bin neutral Jedem gegenüber.“

„Neutral ist nur der Tod, Eak. Was du tust ist dich selbst verleugnen und nichts anderes als Menschen töten, die in deinen Augen zu gut oder zu böse sind, um zu existieren. Ich habe von dir gehört, von dem namenlosen Magier, der durch den Länder zieht und scheinbar wahllos Zauberer verschiedener Orden im Kampf besiegt und mit unbekannter Hexenkunst vernichtet. Du warst es nicht wahr?“ Er ließ die Frage nur eine kurze Zeit zwischen ihnen im Raum stehen, dann fuhr er fort. „Es war nicht willkürlich, du hast jene herausgefordert, die in deinen Augen zu gut oder zu böse für deine kleinen ‚neutrale’ Welt, nein für dich selbst waren. Ich kenne dich Eak, besser als du dich selbst kennst. Was du tust ist keine Gerechtigkeit, egal was du glauben magst. Du glaubst du vermagst zu entscheiden wer gut und wer böse ist? Du bist nicht neutral, dann würdest du sehen, dass weiße Magie immer einen dunklen Gegenpart braucht um zu existieren. Helles Grau und dunkles ergeben immer den Wert, den du dir so sehr erhoffst, doch du wirst niemanden finden, der exakt neutral ist.“ Saleors Worte sprachen Weisheit und Erkenntnis auf und plötzlich wurde dem alten Magier bewusst, dass es all die Jahre nicht Zorn oder Hass war, der sich in Eaks Gesicht geschlichen hatte, sondern Angst. Er trug diese Furcht schon immer mit sich, schon als sie sich kennenlernten. Hatte er das übersehen und den Jungen all die Jahre falsch eingeschätzt? War es wirklich Hass, der ihn zu diesen tödlichen Duellen trieb, Zauberer tötete und sich selbst damit immer tiefer in eine ausweglose Situation trieb? Nein, es war seit jeher Angst, das konnte Saleor sehen, jetzt in den letzten Minuten, die sein Leben noch anzudauern schien. War er all die Jahre so blind gewesen, dass er dies nicht erkannt hatte? Er hätte es verhindern können, hätte er Eak nur richtig verstanden.

„Das ist eine Lüge.“, begehrte Eak nun auf und wühlte mit hektischen Bewegungen in dem Lederbeutel um sich für den entscheidenden Schlag zu wappnen. Er zitterte am ganzen Leib und seine Augen, die bis vor wenigen Sekunden ruhig und ausgeglichen schienen, irrten nun panisch umher, vermieden es seinen alten Meister anzusehen und er kam sich ertappt und schutzlos vor.

„Nein und du weißt, dass ich Recht habe. Du wirst über kurz oder lang jeden Magier töten, der in deinen Augen nicht neutral genug ist und das werden alle sein. Nur was tust du wenn keine Magier mehr übrig sind? Greifst du normale Menschen an in deiner Angst vor dem Leben?“

„Schweig endlich.“, brüllte der junge Mann und hatte endlich eine weitere Blüte des Mahin gefunden. Sein Herz schrie ihm zu, dass Saleor Recht hatte und er wirklich Angst hatte und diese Furcht ihn immer weiter die Kontrolle verlieren ließ, doch er ignorierte den stummen Schrei und machte sich für den letzten Zauber bereit.

„Du Narr wirst selbst zu dem, was du am meisten verabscheust. Du selbst Eak, niemand sonst! Komm zur Besinnung bevor er zu spät ist.“ Er legte alle Kraft, die er noch besaß in diese Worte, doch er spürte mehr und mehr die Müdigkeit in sich aufkommen. Seine Augen waren verschleiert, er nahm nur noch die Umrisse Eaks wahr, der die Hand hob, um einen weiteren Zauber heraufzubeschwören. Schlagartig wusste er, dass Eak dies auch mit dem Mann getan haben musste, der ihn der weißen Magie näher brachte. Gewiss ein großer Magier in seinem Fach und doch hatte auch er die Angst des Jungen unterschätzt oder wie Saleor falsch interpretiert. Eaks Angst äußerte sich nun in dem fanatischen Gedanken eine absolut neutrale Magie zu erschaffen, nein vielmehr eine solche Welt. Begriff Eak denn nicht, dass es eine derartige Welt schon gab und gar nicht aufgebaut werden musste?

„Was du erreichen willst gibt es doch schon längst, du verkörperst einen Menschen, der diese Einheit zerstören will.“, murmelte Saleor als letzten Versuch dem verwirrten Jungen klar zu machen, dass sein Weg der falsche war, da er grundsätzlich gegen jegliches Leben gerichtet war.

Doch Eak war zu sehr verunsichert, um diesen Worten Glauben zu schenken. Noch bevor der Junge es registrierte war ihm die Magie entflohen und steuerte mit unsäglicher Wucht auf Saleor zu. Dieser schloss nur die Augen, hieß das flammende Tier willkommen, das wie eine groteske Mischung aus Hass und Angst bestand und ihn vollständig verschlang. Er spürte kaum den Schmerz, der durch seine Glieder floss und ihn fast zerriss, auch nicht den harten Aufschlag auf den Boden, der ihn endgültig brach. Unmerklich hatte sich soviel Mitleid für Eak und seine heraufbeschworene Kreatur in seinem Kopf gesammelt, dass er kaum Platz für die Qual und den sich nähernden Tod fand. Er musterte Eak aus sonderbar klaren Augen, konnte das entsetzte Gesicht sehen, ebenso die verkrampfte Haltung, die davon zeugte, dass Eak nun einem Kampf gegenüberstand, der schlimmer war als der mit seinem alten Lehrmeister. Er würde sich selbst als Gegner haben und Saleor war sich zumindest sicher, dass er sein möglichstes getan hatte, um Eak den richtigen Weg zu weisen. Er würde zwar nie erfahren, für welchen Pfad sich Eak nun entscheiden würde, doch er konnte mit einem guten Gewissen von dieser Erde scheiden ohne sich Vorwürfe machen zu müssen. Sollte Eak tatsächlich seinen eigenen Kampf verlieren, so musste Saleor darauf bauen, dass es einen anderen Magier gab, der befähigt war Eak aufzuhalten, denn ansonsten würde der Welt einer viel grausameren Zauberei gegenüber stehen, als es Drachenmagie jemals sein könnte.

 

(c) Juliane Seidel, 2007