Wie es ist zu fallen |
Mit
zittrigen Händen und unsicheren, kaum kontrollierbaren Bewegungen fand das
weiße, unscheinbare Pulver seinen Platz auf dem dreckigen klebrigen Löffel,
der nur oberflächlich gereinigt worden war. Nur ein Teil des Stoffes aus
dem kleinen Plastiktütchen wurde darauf geschüttet- nicht alles. Viel zu
kostbar war dieses Pulver in seinen Augen, um es komplett aufzubrauchen-
wertvoll und tödlich zugleich. Ein Feuerzeug, fest von der anderen Hand
umklammert, wurde unter den Löffel gehalten, doch erst nach mehreren
hektischen Versuchen flackerte die Flamme auf, warf ein mattes
orangefarbenes Licht auf die eingefallenen Wangenknochen, die bleiche, wächserne
Haut und die knochigen Finger, die nun mit ihrem Werk begannen. Die müden,
starren Augen hatten einen fast fanatischen, ungeduldigen Zug angenommen,
als er beobachtete, wie das Pulver schmolz und flüssig wurde. Ein schiefes
Grinsen gab seinem Gesicht einen grotesken Ausdruck, als er den Weg des Löffels
mit den Pupillen verfolgte und genau beobachtete, wie sich die Flüssigkeit
mit wenigen Tropfen Wasser in dem schmutzigen Glas vermischte. Schnell zog
er eine weitere Packung hervor, brach eine Tablette heraus und zerbröselte
sie zwischen den schmutzigen Fingern, ließ die Bröckchen sorgsam in seine
Mixtur fallen, die sich sofort auflösten und in dem milchigen Wasser
verschwanden. Er kam sich wie ein Giftmischer vor, wusste schon gar nicht
mehr, was alles den Weg in seinen Cocktail gefunden hatte, doch es war ihm
gleich. Er verwarf die Frage nach der Zusammensetzung, noch bevor er sie
richtig erfassen konnte, beschloss später nach einer Antwort zu suchen,
nachdem er sich besser und sicherer fühlte. Als er seine Umgebung nach der
kleinen Spritze abtastete, griff er unwillkürlich in die Essensreste seines
letzten Abendessens, die neben ihm lagen und mit einem Ruck schob er die
alte Pizzaschachtel zur Seite, richtete sich auf und begann nun mit den
Augen hektisch sein Umfeld abzusuchen. Der Raum war dunkel, nur das matte
Licht einer Straßenlaterne drang durch die zerrissenen Vorhänge, die
fleckig und vergilbt vor den verschmutzten Fenstern hingen. Der Boden war übersäht
mit Papier und Unrat, verdreckt und er hatte das Gefühl eine Bewegung in
der Ecke wahrzunehmen, doch sogleich war diese verschwunden und er zuckte
mit den Schultern. Es war nicht seine Wohnung, er hatte sie nur vorübergehend
besetzt um Schutz vor den kalten Herbststürmen zu finden, die in diesem
Jahr bereits im September begonnen hatten. Dieses alte verfallene Haus am
Rande der Großstadt war schon seit Jahren nicht bewohnt, bot ihm Zuflucht
und ein sicheres Versteck vor der Polizei. Endlich
wurde er fündig, hatte ertastet, was er so fieberhaft gesucht hatte und
beinahe triumphierend zog er die Spritze unter einer der Zeitungen hervor
und betrachtete sie im fahlen Licht, nur um anschließend ein Taschentuch
hervorzuziehen und die lange Kanüle abzuwischen. Tief atmete er die kalte
Luft ein und zog dann die Mixtur in die Spritze, genoss das Gefühl und die
Vorfreude, die ihn jetzt schon durchströmte und in ihm einen Freudentaumel
auslöste, den er kaum beherrschen konnte. Die Zunge konzentriert zwischen
die Lippen gepresst, achtete er darauf keinen Tropfen zu verschenken, hielt
die Spritze erneut gegen das Licht und presste den Sauerstoff aus der
Spitze. Fahrig fuhr er sich durch die schwarzen Haare, riss sich mit der
Bewegung das Stirnband heraus und ließ die fettigen Strähnen in sein
Gesicht fallen, ohne ihnen Beachtung zu schenken. Schnell legte er den Arm
frei, ignorierte die Narben und Flecke voriger Einstiche und band sich rasch
das Tuch um den Oberarm, zurrte es fest zusammen und setzte dann die Spritze
an. Seine bebenden Hände wurden ihm nun lästig, verkrampft bemühte er
sich um Ruhe und zwang sich dazu seine Finger ruhig zu halten, als er
endlich eine passende Stelle fand. Den kurzen Schmerz, als die Nadel die
bleiche, zerstörte Haut durchbohrte, nahm er nicht wahr, zu sehr hielt ihn
die Euphorie gefangen, die jetzt in ihm tobte. Der gierige Ruf seines Körpers
würde nun endlich gestillt werden und diese ständige Angst und Unruhe von
ihm abfallen. Er glaubte fast zu spüren, wie die Flüssigkeit langsam aber
stetig in seinen Körper gepumpt wurde und sich in seinem Blut verteilte.
Ohne Eile leerte er die Spritze, genoss das Gefühl und lockerte nun auch
das Tuch um seinen Oberarm, spürte das Kribbeln und schloss genießend die
Augen. Da war es wieder, dieses unbeschreibliche Gefühl loslassen zu können,
die innere Ruhe, die er seit Tagen vermisst hatte. Mit einem tiefen
Aufseufzen, ließ er die Spritze sinken, und seine störrischen und ernsten
Gedanken rückten von ihm ab, nahmen keinen Platz mehr in seiner
Gedankenwelt ein und sein Bewusstsein wurde von einer Zufriedenheit
ergriffen, die ihn schläfrig machte. Bilder schimmerten vor seinem
geistigen Auge, ließen ihn Erinnerungen wahrnehmen, die er vergessen
glaubte, doch ganz konnte er sich in der Richtung selbst nicht trauen,
vieles von dem was er sah, war reines Wunschdenken, einiges entsprach der
Wahrheit. Damals war er geflohen, vor seiner Familie, der Verantwortung und
vielleicht auch dem Leben selbst. Er lernte diesen jungen Mann kennen,
dessen Name schon längst aus seinen Erinnerungen gewichen war und
fasziniert von seinem Auftreten, seiner lockeren Erscheinung, den bunten
gestylten Haaren nahm er an, was er ihm darbot. Sein erster Kontakt mit
dieser Welt war wild, rau und schmerzhaft, doch einmal begonnen, konnte er
nicht von ihr lassen, verlor sich in dem Strudel des kurzzeitigen Glücks
und der Freiheit. Als seine Freunde es bemerkten, wollten sie ihm helfen,
sprachen von Tod und Unheil, doch er verschloss die Augen vor dem
Offensichtlichen, ignorierte ihre Stimmen und verbannte sie aus seinem
Leben. Sie wurden seine Feinde, waren Gegner in seinem Kampf um Glück und
schon bald vermutete er hinter jedem Wort, hinter jeder Geste Verrat und
Missgunst. Ihr Abwenden, ihre stummen Blicke, als sie ihn, einer nach dem
anderen, verließen, sich nicht mehr meldeten, war für ihn Beweis dafür,
was er immer geahnt hatte. Sie waren nicht seine Freunde und obgleich er es
eigentlich so gewollt hatte, schmerzte es ihn im Grunde sehr sie zu
verlieren. Doch war es einfacher sie als Feinde in Erinnerung zu behalten,
als solche, die ihn im Stich ließen und ihn verraten hatten. Bald
schon wurde das alltägliche Leben sein größter Feind. Nichts half ihm
dabei seine Sehnsüchte zu stillen, seinen Wunsch nach Freiheit und Glück
zu erfüllen, er war auf sich allein gestellt. Jahr um Jahr verschlimmerte
sich die Umwelt in seinen Augen, er fand keinen Platz mehr in dieser
hektischen Welt in der andere Werte wichtig waren, als die, die er selbst
festgelegt hatte. Geld, Macht, Reichtum- alles Dinge die er nicht besaß,
jegliche Chancen darauf hatte er verspielt, als er die Schule abbrach, um
Geld zu verdienen. Das war so viele Jahre her und doch glich es einem
Wimpernschlag, wenn man es auf die ganze Welt bezog, all den Facetten des
Lebens. Seine Eltern wandten sich ab, er floh von dieser tristen, grauen und
bigotten Welt, tauchte heftiger denn je in das Leben der Straße ein und
fristete in den Ecken und am Rande des emsigen Treibens sein Dasein. Niemand
nahm ihn wahr, die Welt blieb nie für ihn stehen, wenn er einen Moment der
Ruhe brauchte. Er hasste sie, erkannte in seiner unmächtigen Wut, dass
alles sein Feind war, jeder Mensch, jedes Tier, sogar jedes Insekt, was über
seine zerschlissenen Schuhe krabbelte. Sein unbändiger Hass und Zorn ließ
ihn sich weiter zurückziehen und seine Erlösung in den vielen Mitteln
suchen, die er immer schwieriger auftreiben konnte. Man verwehrte ihm, was
er brauchte, die Stütze, das sichere Ufer seiner Existenz, das einzige,
womit er sich auszudrücken vermochte. Der
Rausch ebbte ab, seine Gedanken, die wirbelnd in seinem Kopf umherkreisten
blieben zurück, hinterließen einen bitteren Nachgeschmack und hatten ihm
nicht die Erfüllung gebracht, die er gehofft hatte. Wie lange war er der
Welt entschwunden, wie viele Stunden hatte er sich in seine eigene Welt zurückgezogen?
Es war taghell, viele Stunden mussten vergangen sein und nur mühsam konnte
er den Blick auf den Unrat werfen, der den Boden übersäte. Die Insekten,
dessen Chitinfüßchen klapperten und die zwischen dem Papier raschelten,
konnte er überdeutlich hören und den üblen Gestank stärker wahrnehmen,
als bisher. Er hasste es, diese Umgebung, diesen Geruch und diese Geräusche,
die ihn in den Wahnsinn trieben, immer dann, wenn sein Glück verschunden
war und sich die Realität offenbarte. Mit trübem Blick sah er an sich
herab, starrte auf seinen zerstochenen Arm und war einige Augenblicke
entsetzt darüber. Er musste den Anblick eines Halbtoten abgeben und doch
sehnte er sich bereits jetzt nach dem nächsten Rausch, der ihn all das hier
vergessen ließ, der seine Schmerzen und seine Trauer mitnahm und obgleich
er dieses Mal kein Glück hatte, eher schlechte Erinnerungen Einzug gehalten
hatten, war sein Wunsch aufzuhören und diesen Ort zu verlassen fast
verloschen. Sein Versuch aufzustehen, endete damit, dass seine Beine
nachgaben und ihn gegen die Wand taumeln ließen. Stockend sank er zurück
auf seinen Stammplatz, wenn man es denn so nennen durfte und verfluchte
seine eigene Schwäche, die ihn jedes Mal heimsuchte, wenn er aus diesem
langen Rausch wieder zu sich kam. Sogar sein Körper schien sich gegen ihn
verschworen zu haben, jedenfalls kam es ihm so vor und mit leiser kratziger
Stimme murmelte er vor sich hin, sich voll und ganz der Tatsache bewusst,
dass fluchen nicht dazu beitragen konnte ihn schneller zu Kräften zu
bringen. Müde schloss er die Augen, hoffte im Schlaf ein wenig Ruhe und Stärke
zu finden und dämmerte weg. Der
einzig klare Gedanke, der ihm kurz vor dem Wegdriften durch den Kopf schoss
war wie immer der, dass nicht das Leben sein Feind war, sondern die Sucht
selbst. Doch zu kurz verweilte diese bedeutungsvolle Erkenntnis, um sich in
seinem Bewusstsein zu manifestieren.
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(c) Juliane Seidel, 2007 |